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Stressbewältigung durch Achtsamkeit – MBSR
Kristina Messerschidt interviewt Evelyn Rodtmann

Ein Artikel von Evelyn Rodtmann

Erscheinungsdatum: 21. November 2017
Schlagwörter: MBSR

 

K: Stress und Achtsamkeit: widerspricht sich das nicht? Wie soll ich noch achtsam sein, wenn ich sowieso schon völlig gestresst bin?!
E: Achtsam sein ist nicht eine weitere Belastung, die wir auch noch bewältigen müssen. Achtsam sein bedeutet innehalten, meine Stressreaktionen wahrnehmen, nicht einfach im Autopilot weitermachen. Das braucht etwas Übung, Achtsamkeitsübung.
Auch gibt es nicht den einen Stress, sondern Stress drückt sich individuell aus und ist situativ bedingt. Erst, wenn wir dem Aufmerksamkeit geben, können wir überhaupt erken-nen, wie wir auf Stress reagieren. Es gibt externe Stressauslöser wie Zeitdruck, Lärm und Aufgabenüberforderung, und es gibt innere Stressauslöser, z.B. alte Glaubenssätze, An-sprüche an uns selbst etc.
Durch achtsames Mit-uns-sein können wir den Prozess erkennen: den Auslöser, die Reaktion in mir und das Resultat, also eine bestimmte Handlungsweise oder eine Gemütslage. Es ist sehr wichtig, diesen Ablauf mit seinen verschiedenen Abschnitten zu erkennen, ansonsten entstehen Vermischungen und Automatisierungen.

K: Ist es nicht auch wichtig, die Stessauslöser auszuschalten?
E: Das wäre natürlich ideal, aber oftmals muss ich ihnen erst einmal auf die Spur kommen, gerade den inneren Auslösern. Andere sind unveränderbar: Termine müssen eingehalten werden, Arbeitsanforderungen sind gegeben, Krisensituationen entstehen immer wieder. Verändern kann ich aber meinen Umgang mit Stress! Hilfreich ist das "Auseinanderziehen", wie gerade geschildert, die einzelnen Schritte sehen – dann erst kann ich aus dem Automatismus aussteigen und nicht einfach entsprechend meines gewohnheitsmäßigen Musters reagieren. Manche Menschen werden beispielsweise unter Druck aggressiv; das muss man erst einmal merken!

K: Da gibt es sicher oft Aha-Erlebnisse.
E: Auf jeden Fall. Obwohl sie nicht immer nur angenehm sind: Wenn wir innehalten, also in einer gewissen Ruhe sind, spüren wir unsere Unruhe erst mal viel deutlicher: Die Präsenz und Dominanz unserer Gedanken, die manchmal wie ein wilder Hühnerhaufen sind, oder sich ständig wiederholen.
Ein wirklich großes Aha-Erlebnis ist oft, festzustellen, dass Gedanken nur Gedanken sind und einfach wieder verschwinden, wenn ich ihnen nicht folge und in ihre Geschichte einsteige. Ich kann darüber nachdenken, wie sehr mich X wieder geärgert hat und was ich ihm gerne gesagt hätte, aber wieder nicht getan habe … - ich kann es aber auch lassen, darüber nachzudenken. Das ist ein Stück Freiheit.

K: Was ist das besondere an der "Achtsamkeit"?
E: Wir nehmen wahr – und verändern nichts. Gedanken, Empfindungen, Geräusche kommen und gehen. Dabei wird deutlich, dass nichts bleibt, wie es ist. Das schafft Distanz: Wir beobachten und stürzen uns nicht gleich wieder in Handlungen.

K: MBSR hat ja buddhistische Wurzeln ...
E: Ja, daher kommt die Methode. Jon Kabat-Zinn kommt aus einer buddhistischen Traditi-on, die genau diese Geisteshaltung pflegt. Die Buddhisten haben wichtige Erkenntnisse gewonnen, die seit den 70ern verstärkt auch im Westen Platz gefunden haben.
Ihm war es aber wichtig, dass MBSR ein religionsfreies Programm ist und somit offen für alle Menschen ist.

K: Wie läuft denn ein MBSR-Kurs praktisch ab?
E: Der Kurs läuft über acht Wochen mit acht Abenden und einem ganzen Tag. Der Kurs hat eine feste Form, die sich bewährt hat. Wir beginnen mit einem so genannten Body Scan, das ist ein achtsames Wahrnehmen des Körpers, eine Reise in verschiedene Kör-perteile.
Dann kommt achtsame Bewegung dazu, angelehnt an Yoga. Da geht es darum, sich zu spüren, auch die eigenen Grenzen. Und später kommt die Sitzmeditation dazu. Es gibt natürlich auch genug Raum, über unsere Erfahrungen - dies ist schließlich ein erfahrungs- und praxisorientiertes Programm - zu sprechen, über Themen wie Stress, achtsame Kommunikation, Umgang mit schwierigen Gefühlen wie Wut, Angst etc.

K: Hausaufgaben gibt es auch?
E: Ja, man sollte täglich 30 bis 45 Minuten dafür aufwenden. Das lohnt sich! Denn es ist immer eine Auseinandersetzung mit sich selbst, man zieht sich aus dem Alltag heraus und übt innezuhalten. Der MBSR-Kurs bietet da verschiedene Übungen an und es gibt Übungs-CDs sowie schriftliches Material für zuhause.

K: Wozu brauche ich dann die Gruppe?
E: Sich zu treffen und sich acht Abende lang Zeit zu nehmen entwickelt eine ganz andere Intensität, als zuhause allein zu üben. Gerade auch die Erfahrungen der anderen Teilnehmer unterstützen jeden in seiner Auseinandersetzung damit. Durch die Gespräche in der Gruppe wird die Vielfalt in diesem Thema deutlich, aber auch die Tatsache, dass wir alle mit ähnlichen Widerständen und Hindernissen zu kämpfen haben. Beispiel: Ich bin nicht dazu gekommen, regelmäßig zu üben. Wie bin ich damit umgegangen? Wie die anderen? Gerade die "Solls" und "Müsste" werden wahrgenommen. Die Gruppe gibt dem Thema Raum sich zu entfalten.

K: Nochmal zurück zum Stress: gibt es nicht auch positiven Stress?
E: Ja, klar. Stress ist ganz natürlich. Die Stressreaktion unseres Körpers auf eine erhöhte Anforderung ist notwendig, um angemessen darauf reagieren zu können. Und positiver Stress bedeutet nichts anderes, als dass wir z. B. Zeitdruck als belebend empfinden und effektiver werden.
In der Stressforschung wird gar nicht mehr so viel zwischen positivem und negativem Stress unterschieden, sondern zwischen chronischem und akutem Stress. Auch positiver Stress schadet uns, wenn er chronisch wird und Körper und Geist keine Ruhephase mehr erleben. Ein permanent hoher Stresslevel entwickelt sich oft zu einer Sucht nach Erfolg. Das gibt uns eine Menge und deshalb jagen wir dem nach. Das sind dann zum Beispiel die Themen, die wir uns in dem Kurs bewusst machen.

K: Ich verstehe langsam, warum MBSR kein Entspannungskurs ist.
E: Nein, das ist es wirklich nicht. Aber Entspannung ist ein Nebeneffekt. Es geht auch nicht darum Stress zu vermeiden, sondern einen Umgang mit Stress zu finden, also einen Umgang mit Dingen, die wir mögen und mit Dingen, die wir nicht mögen. Übrigens arbeiten sich dadurch in unserem Leben deutlich mehr Höhen und Tiefen heraus, das Leben wird sozusagen lebendiger.

K: Noch etwas interessiert mich in deinem Flyer: Da heißt es, dass innere Ruhe Teil der menschlichen Grundausstattung ist.
E: Ja, davon bin ich überzeugt. An kleinen Kindern sehen wir das oft noch, aber es geht verloren durch viele Reize, Lärm usw. Ruhe ist wichtig, denn nur mit Ruhe kann ich mich selbst im Verhältnis zur Umgebung wahrnehmen und angemessen reagieren. Sonst fahre ich mit "Autopilot" und wiederhole immer nur die eingefahrenen Muster.

K: Gibt es eigentlich Kontraindikationen für die Teilnahme an dem Kurs?
E: Der Kurs ist nicht geeignet für Menschen, die gerade akut mit Depression oder anderen psychischen Störungen, Süchten oder akuten schweren körperlichen Problemen zu tun haben. Zur Begleitung chronischer Prozesse oder zur Vorbeugung ist MBSR jedoch sehr gut geeignet. In dem kostenlosen und unverbindlichen Vorgespräch können diese und auch alle weiteren Fragen individuell geklärt werden.

Das Interview führte Kristina Messerschmidt, Aquariana Praxis- und Seminarzentrum, www.aquariana.de

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